Die Geschichte über
Zoltán Bányai

Es war einmal … Da erzählten die Märchen noch mit viel Geduld vom Handwerk, vom Fleiß, von der Bescheidenheit und der Zwiesprache der Menschen mit der Natur, die Hochmut strafte und für gute Werke ihre Zauberer bereithielt.

Eine solche, fast altmodische Geschichte ist die von Zoltán Bányai, geboren anno 1972 im ungarischen Cegléd.

Lange schon hatte sich seine Freundin damals einen Blumenständer gewünscht. Doch keiner in den Läden wollte ihr gefallen. Da griff Zoltán, der als OP-Assistent arbeitete, zu einem Schnitzmesser. Der Blumenständer gelang ihm so, dass Nachbarn, die gewohnt waren, Schönes nur noch durch Kauf zu erwerben, neugierig fragten: „Woher habt Ihr denn den?“

Zu dieser Zeit hatte Zoltán Bányai seinen ersten Beruf schon an den Nagel gehängt. Tiefbohrmeister war er zunächst geworden, für warme Quellen und Erdgas. Doch so erdverbunden er ist, störte ihn an dieser Arbeit die jeweils lange Trennung von der heimatlichen Umgebung. Denn der kleine ungarische Junge hatte einst die meiste Zeit auf einem Bauernhof gelebt, wo noch die Petroleumlampe die Räume in ihr warmes Gelb tauchte und kein Fernseher seinen Grauschleier in die Wohnstube warf.

So machte das Heimweh aus dem Bohrmeister einen Krankenpfleger. Der holte sein Abitur nach, das die Armut der Familie dem Schüler zuvor nicht erlaubt hatte, und bestand obendrein mit Auszeichnung die Prüfung zum OP-Gehilfen in der Unfallchirurgie.

Was er an Leid und Schmerz mit ansah, spiegelte sich später, von ihm selbst unbemerkt, in manchen Skulpturen wie „Die kranke Blume“. Doch die meisten seiner Schnitzwerke erzählen vom Leben, das die Natur führt, und aus dem er herausliest, was anderen verborgen bleibt. Wenn wir sie dann betrachten, kommt uns in Erinnerung, was Volkskunst einmal war – aber auch immer noch sein kann. Und wie märchenhaft sie sich von vermarkteter Folklore unterscheidet. Bei einem Volksfest zeigte Zoltán Bányai zum ersten Mal seine kleine Fauna und Flora aus Holz. Ein alter Schnitzmeister und Bildhauer sah sie und bot ihm spontan an, in seiner Werkstatt zu arbeiten. Ein Jahr sah und hörte er dem Meister zu. „Du solltest jetzt nach Deutschland gehen“, gab der ihm am Ende mit auf den Weg, „dort gibt es die besten Messer und Werkzeuge für die Schnitzkunst.“

Und so kam Zoltán zu den Deutschen, erst als Krankenpfleger in ein Kurhotel in NRW, dann nach Hamburg, wo er mit allerhand Arbeit sein Geld verdiente, um Schnitzwerkzeuge zu kaufen, bis er lernte, sie selbst zu fertigen. Und weil er vor lauter Holz in den städtischen Parks auch den vielen Wald sah, den Hamburg besitzt, ist er bis heute geblieben.

Und wenn er schnitzt, dann stellen sich die kleinen Märchen wie von selbst ein. Einmal sortierte er mit einem nicht eben armen Unternehmer Kaminholz. „Das hier sieht aus wie eine Eule“, zeigte Zoltán ihm. „Nö“, sagte der und reichte dem Ungarn das Stück, „ich sehe nur einen Holzscheit.“ Zoltán nahm den Scheit, half der Natur nur ein ganz wenig nach und brachte ihn wortlos zurück. „Mann“, staunte der Unternehmer, „das ist ja eine Eule!“

Ein andermal griff sich der Schnitzer im Wald einen Baumrest mit Wurzeln und Erde. „Was willst Du denn mit dem“, schüttelte sich der Freund, „der kommt mir so nicht ins Auto!“

Zoltán packte den Fund in einen der Müllsäcke, die er stets bei sich trägt. Ein paar Wochen später brachte er mit, was er daraus geschnitzt hatte. Der Freund, der längst nicht mehr an das garstige Gebilde dachte, für das sein Wagen zu schade gewesen war, wollte die Skulptur auf der Stelle kaufen.

Die Holzsammler in den Märchen, so arm sie damals waren, beschenkte die Natur, sofern sie keine Holzdiebe waren. Auf ihren Spuren wandert Zoltán Bányai durch die Parks und Waldstücke und stolpert bisweilen buchstäblich über sein Glück. So wie über die schon tote Wurzel der Espe, die unter seinen Händen als Fischreiher wieder Gestalt annahm.

„Ich nehme nie lebendiges Holz, schneide nichts ab, nehme den Pflanzen doch nicht ihr Leben“, sagt er fast beschwörend, „aber das Holz zum Schnitzen kann man nicht kaufen.“ Man muss es suchen – wie das Glück eben. „Alles hängt davon ab, was ich finde“,

beschreibt der in sich gekehrte, fast schüchterne Ungar seinen Weg.

„Findlinge“ nannte er, was er aus dem Wald mitbrachte, als ich ihn zum ersten Mal traf. Erst nach einer Weile begriff ich, dass er das Wort aus seinem autodidaktisch erlernten Deutsch selbst geprägt hatte, ohne unsere Bezeichnung für die steinernen Zeugen der Eiszeit je gehört zu haben. Seinen „Findling“ formt er nur mit der Hand, niemals mit elektrischen Geräten oder Schleifmaschinen. Und alleine mit Olivenöl, Bienen oder Dekorwachs verleiht er ihm Glanz.

Hat er die gewünschte Gestalt angenommen, möchte er ihn eigentlich nur verschenken:

„Am Markt bin ich nicht sonderlich interessiert. Ich sehe mich nicht als Künstler.“

Auch und gerade das spricht für den – Künstler.

Christian Schmidt-Häuer, DIE ZEIT